TEXAS        
BIEL/BIENNE


TEXAS ist ein Kunstwerk von Haus am Gern und liegt mitten im Bieler Esplanade-Quartier. TEXAS besteht aus einem dreilagigen, weissen Koppelzaun ohne Tor und einer Trockenwiese, auf der eine kleine Tribüne mit dem Rücken zum Kongresshaus steht.
Haus am Gern ist das Label des Bieler Künstlerduos Barbara Meyer Cesta und Rudolf Steiner. Im Fokus ihres Schaffens stehen gesellschaftsrelevante Themen, die sie in kontextspezifische Werke übersetzen. Ihr künstlerisches Schaffen zeichnet sich durch Medienvielfalt aus, in der Text, Zeichnung, Fotografie, Video, Objekt, Skulptur, Installation und Performance im Rahmen von konzeptuellen Arbeiten zueinander in Beziehung gesetzt werden.  www.hausamgern.ch  Portfolio PDF

Der Ort
Das Quartier über dem neuen Kongresshaus-Parking, einstiges Gaswerkareal und heutige Esplanade, wäre wohl für Laure Wyss – deren Namen der neue Park trägt – kaum mehr wiederzuerkennen. Das älteste Gebäude im Quartier, die Coupole, ist neuerdings eingebunkert. Der kleine Wald mit den schönen alten Bäumen ist geschlagen und bebaut mit dem langen stummen Riegel der Esplanade Nord.
Der Laure Wyss Park ist weder Wald noch Hain auf einem blumenlosen Rasen, die Silbergasse ist laut und das monumentale Kongresshaus erzählt von überholten Stadtentwicklungsträumen. Wer sich davor um die eigene Achse dreht, staunt. Wir reiben uns jedenfalls die Augen ob der grossen Veränderungen, die allein in den letzten Jahren entstanden sind, obwohl wir erst zur Jahrtausendwende nach Biel/Bienne eingewandert sind.
Mittendrin wird mit dem Esplanadeplatz von Raderschall Architekten ein grosser Teppich ausgebreitet, die Autos darunter gekehrt, künstliche Pfützen spiegeln den Himmel und grüssen formal die ebenso künstlichen Grashügel im Laure Wyss Park.
Ein langer, unförmiger Flicken am Rand dieses Esplanade-Teppichs sollte bis zu seiner geplanten Überbauung künstlerisch gestaltet werden. Haus am Gern hat mit seinem Werk TEXAS im Rahmen eines Wettbewerbs 2016 den Zuschlag dazu erhalten und das Werk 2018 ausgeführt.

Die Kunst
TEXAS ist ein Ort, der einer städtebaulich und ökologisch schwierigen Situation etwas hinzufügt, das die anderen Anlagen nicht erfüllen können und auch nicht dürfen: TEXAS ist eine begehbare Skulptur, ein von unzähligen Flug- und Kriechwesen bewohntes Gebiet, ein atmender Boden unter heiterem Himmel, und eine Destination für Stadtreisende. TEXAS ist der intakte, intime, verletzliche Kern des Quartiers. TEXAS ist mit dem Leben verbunden, mit Himmel, Erde und Licht, TEXAS lebt. Der Rand von TEXAS ist ein weisse Linie, ein solider Zaun, der den Perimeter einfasst und beschützt.
Wer sich überwindet und ihn überwindet ist dort, ist auf TEXAS, auf Reisen, auf Kopfreisen, aber nicht nur. Denn hier gibt es Nähe, wenn man in der Wiese liegt, und Weite, wenn man auf der Tribüne sitzt. Es gibt die Phantasie, die sich in der Ruhe einstellt und sich im Kopf und auf der Ebene ausbreitet. Dieses intensive Erleben wird nur möglich, weil TEXAS hausfrei ist, autofrei, betonfrei und baumlos, eine grosse Ebene, eine extensive Prärie, ein bisweilen trockener, heisser Ort, auf den am Nachmittag zur Kühlung der Schatten des Kongresshaus-Turms fällt. Wer drinnen ist ist draussen, und niemand muss dann wissen, dass es die Kunst ist, die dieses in der Stadt ausgestorbene Erleben ermöglicht.
Aber wer in die Stadt zurückkehrt, hat TEXAS grösser und lebendiger gemacht und etwas erlebt, das es nur Dank der Kunst gibt – und denen, die sich darauf einlassen. TEXAS ist schützenswert und artgerecht für den Menschen. Jede Veränderung würde TEXAS und seine künstlerische Wirkkraft und die verletzliche Trockenwiese zerstören.


Der Konflikt
Der an TEXAS angrenzende Esplanade-Platz, ein Werk von Raderschall Architekten, ist ein offener, versiegelter Platz und gilt als Hitzeinsel. Er deckt den Kongresshaus Parking und kann deshalb nicht bepflanzt und nur begrenzt möbliert werden. Mit der Klimastrategie 2025 will der Bieler Gemeinderat die Bevölkerung vor den negativen Auswirkungen des Klimawandels schützen und setzt hauptsächlich auf Bäume, die symbolisch für alles stehen, was in den nächsten Jahren umgesetzt werden soll. Mehr hochwertige Grünräume und Bäume sollen Schatten spenden und den «Hitzeinseln» in der Stadt entgegenwirken.

Dezember 2023 : Die Bau- und Umweltdirektorin Lena Frank (Grüne) wünscht von Haus am Gern explizit eine «Weiterentwicklung» ihres Werkes TEXAS in Form einer Bewaldung, um eine Verbesserung der Hitze-Situation der übrigen Umgebung durch Schattenwurf zu erreichen. Ein hoher Wald soll dereinst diese Aufgabe übernehmen, weil der vorgesehene Bau zum heutigen Zeitpunkt nicht realisiert werden kann. Schon davor beauftragt sie Raderschall Architekten, ein Projekt zur Aufforstung von TEXAS zu entwickeln, ohne Haus am Gern in den Prozess einzubeziehen oder zu informieren.

Sommer 2024 : Haus am Gern erhält Einsicht in das Dossier. Das Projekt sieht vor, dass TEXAS in einen Waldspielpark mit mehreren Eingangstoren und Spielplatzlichtungen umgewandelt wird. Das Kunstwerk wird komplett ignoriert. Die Werkteile von TEXAS werden in die geplante Aufforstung intergiert und auf ihre Nutzbarkeit reduziert. Der Zaun ist gemäss Aussage vom Tiefbauamt praktisch, weil er «Hündeler und Randständige abhält». Die geschlossene Einfriedung durch den Zaun wird durch mehrere Tore ihres künstlerischen Sinns beraubt. Die Bewaldung lässt die Weitsicht verschwinden, die biodiverse Trockenwiese wird durch die Aufforstung zerstört, die Ruhe durch die Umwandlung in eine Abenteuerzone gestört.

September 2024 : Haus am Gern schlägt Lena Frank vor, die leerstehende angrenzende Grünfläche zu bewalden, um TEXAS zu erhalten. Die «Problemzonen» der Esplanade und ihrer Umgebung sollen an ihrer Wurzel angegangen werden, ohne als Ersatzhandlung ein verletzliches Kunstwerk zu zerstören. Das Hochbauamt will jedoch schon im November die bereits angezogenen Baumsetzlinge anpflanzen. Lena Frank taxiert den Vorschlag von Haus am Gern als «Verlegenheitslösung» und verlangt erneut mehr «Dialog zwischen der Bepflanzung und dem Kunstwerk im Sinne einer Transformation» und verschiebt ihren Entscheid auf Januar 2025.



Die Diskussion
WINTER 2024/2025 : Unter Einbezug von Fachleuten erörtern Haus am Gern die rechtlichen, kulturpolitischen, städtebaulichen und ökologischen Fragen, die durch das Vorgehen der Stadt aufgeworfen werden.

An der Diskussion sind folgende Persönlichkeiten beteiligt:
Katrin Steffen, Direktorin Kunstmuseum Solothurn
Oliver Gardi, Umweltwissenschafter, Biel/Bienne
Patrick Thurston Filmemacher und Architekt BSA SWB SIA, Bern
Andreas Münch, Kunsthistoriker, Leiter der Kunstsammlungen des Bundes und Präsident der Städtischen Kunstkommission Biel/Bienne
Stefan Buchhofer, Architekt Studio WOW, Biel/Bienne
Jürg Bart, Architekt Studio WOW, Biel/Bienne

Fazit : TEXAS soll Leerraum und Lehrraum bleiben!





Leerraum & Lehrraum
Das künstlerische Potential von TEXAS ist sein LEERRAUM. Dieser wirkt irritierend, inspirierend und ist Nahrung für das Bewusstsein.

TEXAS wird auch zum LEHRRAUM, weil das Werk kulturpolitische, aber auch städtebauliche und ökologische Fragen aufwirft.


Laudatio für Haus am Gern zur Verleihung des Kulturpreises der Stadt Biel/Bienne 2019
«Das amerikanische Texas hat die NASA, Biel hingegen hat TEXAS und die Raumfahrtbehörde von Haus am Gern noch dazu, die im Gegensatz zur NASA nicht nur viel extremere Raketenflüge anbietet, sondern diese zudem auch noch für alle Interessierten offen zugänglich macht. Auch das Betriebsbudget ist im Vergleich zur NASA deutlich bescheidener (wobei es auch für die Raumfahrbehöred Haus am Gern gerne weiter aufgestockt werden könnte). Biel fördert sich heute Abend also nicht zuletzt selbst, wenn die Stadt endlich Haus am Gern den Kulturpreis verleiht. Biel erklärt nämlich damit der Welt: «Nous définissons: nous sommes pas dedans, ni dehor, mais par-tout.»
Johannes Binotto, Dr. phil. Kultur- und Medienwissenschaftler
Laudatio Kunstpreis der Stadt Biel/Bienne 2019



«Für mich als Jurymitglied war gerade die eingezäunte und durch die Tribüne hervorgehobene Brache, das gewollte «Nichts» überzeugend und realisierenswert (Präsenz von Absenz). Koppel und Tribüne stehen für mich im Dienste dieses sich selbst überlassenen Stück Bodens mitten in der Stadt. Wird die Brache gestaltet, verliert das Werk seine Essenz, seine Aufsässigkeit, sein Potenzial. Eine « Weiterentwicklung» des Werkes im Sinne der Bau- und Umweltdirektion käme einer Zerstörung des Werkes gleich. Weiteren «guten Ideen», was auf der Brache möglich wäre, würde die Grundlage genommen. (=Projektionsfläche).
Ausserdem: Wem käme es in den Sinn, die Luginbühl-Skulptur vor der Berufsschule mit grüner Rostschutzfarbe zu bemalen!?
»
Edi Aschwanden, Jurymitglied Wettbewerb




Kulturpolitische Fragen
Argument Stadt: Fordert einen Dialog zwischen der Bepflanzung und dem Kunstwerk im Sinne einer Transformation.

Gegenargument: Ein Kunstwerk im öffentlichen Raum kann nicht formal und materiell durch eine Behörde weiterentwickelt werden. Die zuständige Behörde ist in der Pflicht, dies zu verhindern und Sorge zum Werk zu tragen. Der Dialog zur Verbesserung der Situation der Umgebung von TEXAS sollte gemeinsam mit Haus am Gern und Fachleute geführt werden.













Städtebauliche Fragen
TEXAS befindet sich auf einem Baufeld, welches ursprünglich für den Bau des Zentralen Verwaltungsgebäudes der Stadt Biel/Bienne vorgesehen war. Dieses ist gemäss gültiger Überbauungsordnung für öffentliche Nutzungen (Verwaltungsgebäude, Gerichtsgebäude etc…..) reserviert. Kann die Stadt das teure Terrain ohne Volksentscheid längerfristig in eine Grünzone umwandeln?

Wie lässt sich die gesamte Esplande-Anlage auf die durch den Klimawandel bedingten Temperaturen sowie aktuelle städtebauliche Anforderungen optimieren? Die Ränder der einzelnen Baukörper haben keine physische Beziehung zueinander und die Gesamtanlage ist eine Herausforderung.  Eine Aufforstung von TEXAS bzw. Abbau des Kunstwerkes als «Bauernopfer» lenkt von den eigentlichen Problemen ab. Diese Probleme sind hochaktuell und von überregionalem Interesse. Wäre es nicht nachhaltiger, wenn die Stadt diese Herausforderung annimmt?

KONSQUENZ:
Haus am Gern iniziiert zusammen mit lokalen Fachleuten eine öffentliche Debatte zu den Themen - Kunst im öffentlichen Raum, Stadtraum und Baukultur, Ökologie und Klima, Partizipation und Gesellschaft mit überregionaler Beteiligung, die 2025 stattfindet.









Die Ökologie
Argument Stadt: Eine Bewaldung von TEXAS soll den angrenzenden Esplanade-Platz beschatten um damit die klimatische Situation des ganzen Umgebung zu verbessern. Dazu soll TEXAS eine partizipative Spielwiese werden.

Gegenargument:
Lauf  dem Bundesamt für Umwelt wurden seit 1900  mehr als 95% der Trockenwiesen und -weiden in der Schweiz zerstört, und sowohl ihre Fläche als auch ihre Qualität nimmt weiterhin ab. Um dem anhaltenden Rückgang dieses Lebensraums entgegenzuwirken, hat der Bundesrat 2010 die Trockenwiesen und -weiden von nationaler Bedeutung (TWW) in ein Inventar nach Artikel 18a des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz (NHG) aufgenommen. Das Inventar zählt aktuell 3951 Objekte (Stand 1. Januar 2021), die gesamthaft einem Anteil von 0,7 % der Landesfläche entsprechen. (Bundesamt für Umwelt BAFU)

Trockenwiesen, auch als Magerwiesen bekannt, sind landschaftsprägend im Jurapark Aargau. Aufgrund des reichen Blütenangebotes bieten sie Nahrung für zahlreiche Insekten, auf welche wiederum andere Tiere wie Vögel oder Fledermäuse angewiesen sind. Grundsätzlich gilt: Je magerer der Boden, desto höher der Wert für die Natur und die Artenvielfalt.
https://jurapark-aargau.ch/trockenwiesen





Die Prairie
«Angesichts der zu erwartenden Klimaerhitzung ist die Gestaltung der Esplanade ungünstig ausgefallen. Alte und grosse Baumvolumen (> 100'000 m3) wurden entfernt, der Platz blieb grossflächig versiegelt und wurde mit einheitlich hohen Häuserzeilen eingerahmt. Das Resultat ist eine städtische Hitzeinsel, welche sich tagsüber viel Hitze aufnimmt und sich nachts wegen der gespeicherten Wärme nur schwach abkühlt.
Eine Bepflanzung der verbleibenden Esplanade-Freiflächen (Kunstinstallation TEXAS) mit Bäumen wird daran auf absehbare Zeit kaum etwas ändern. Und auch wenn die Bäume einst gross würden (doch wie gross ist die Chance, dass die Bäume dort auf Dauer stehen bleiben?), so wäre die Beschattung des Platzes in erster Linie in den Morgenstunden gegeben und weniger während der intensivsten Einstrahlung am Mittag und am frühen Nachmittag. Andere Massnahmen zur Abkühlung, wie z.B. Sonnensegel auf dem Platz oder Wasserfontänen wären wohl weitaus effektivere Massnahmen um der Hitze zu begegnen und dies sehr zeitnah. In meinen Augen macht eine dichte Baumbepflanzung an diesem Standort v.a. den Anschein einer Verlegenheitslösung, um die bei der Umgestaltung verlorenen Baumvolumen zu kompensieren.
Öffnet man hingegen die Perspektive, so hätte die Freifläche mit der TEXAS-Installation ein sehr spannendes Potential die Klimawandel- und Hitzeinsel-Thematik auf eine ganz andere Weise anzusprechen. Ein kultivierter, ja vielleicht ein fast schon etwas überspitzt gestalteter Trockenstandort (Prairie, Halbwüste, ganz nach dem Vorbild Texas) könnte die Bevölkerung für die Thematik der Klimaerhitzung und ihre Folgen sensibilisieren.»

Oliver Gardi, Biel/Bienne

KONSEQUENZ:
Haus am Gern fordert von der Stadt Biel/Bienne, TEXAS in das Inventar ökologisch wertvoller Trockenwiesen aufzunehmen und gemeinsam mit Haus am Gern die Trockenwiese als überspitzten Trockenstandort zu entwickeln.